Sonntag, 13. Mai 2012

Ich schaue Kunst für Stephan US


„Ach, was muß man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Max und Moritz hießen.


Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren,
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten.[1]

In der interaktiven Textinstallation  „Bettruhe“ von Stephan US scheint an eben diese bösen Buben appelliert und der Versuch unternommen zu werden, sie durch auf den Fenstern des Cuba Nova angebrachten „weise Lehren“ wie „Ruhe bitte!“, „Halte Deine Stadt sauber!“ oder eben Videoüberwachung zum Guten zu bekehren. Doch wer sind in diesem konkreten Fall Max und Moritz? Hier sind es scheinbar explizit die Szenegänger und Clubbesucher der nächtlichen Tanzveranstaltungen im Cuba Nova, die mit ihren alkoholverstärkten Stimmen die Nachbarschaft an eben jener   wohlverdienten Bettruhe hindern. Lautstark wird sich beim Rauchen vor der Tür unterhalten,
sich voneinander verabschiedet oder einfach nur geflirtet. Zigarettenkippen werden auf dem Boden ausgetreten und bleiben zurück, Flaschen zerspringen klirrend zu Scherben. In diesem Millieu greift der Künstler ein und implantiert seine Textbotschaften auf den Fensterscheiben des Clubs mit denen er sich offensichtlich an die Moral und das Gewissen des Partyvolkes wendet. Unter den eigentlichen Textbotschaften befindet sich eine Telefonnummer, die scheinbar die Funktion hat die Beschwerden gegen Ordnung und  Ruhe  entgegenzunehmen.
Doch was passiert, wenn der geplagte Bürger sich hoffnungsvoll an diese Nummer wendet?
Er geht dem Künstler in die Falle. Denn anstatt dem erhofften Mitarbeiter der Beschwerdehotline, der ihm die ersehnte Ruhe verschafft, hört er wie Stephan US einen Text aus den Heterotopien Michels Foucaults[2] vorliest, in dem dieser über diese anderen Räume, gleichsam Gegenräume, spricht, die für ihn lokalisierte Utopien sind, wie sie Kindern bekannt seien als Indianerzelt auf dem Dachboden oder auch das Bett, in welchem man zwischen den Decken auf dem Meer schwimmen und zugleich auf den Federn in den Himmel springen könne.
Daraus lässt sich schließen, dass ein solcher „anderer“ sozialer Raum also auch in der Achtermannstrasse existiert, hier gelten die Ziele und Regeln des Nachtlebens, des dionysischen Rausches, des Festes, des Tanzes statt der der elterlichen Ruhe und Regeneration.

„- Aber wehe, wehe, wehe,
Wenn ich auf das Ende sehe!!
Ach, das war ein schlimmes Ding,
Wie es Max und Moritz ging.“

Das böse Ende scheint den Kindern auch bei Foucault zu drohen, „denn wenn die Eltern zurückkommen, wird man bestraft“. Werden auch die sich amüsierenden, das Leben genießende Nachtschwärmer bestraft und wenn ja, von wem?  Die Nachbarn und das Ordnungsamt könnten hier als die heimkommenden Eltern gelesen werden, die den Kindern verbieten weiterhin so laut zu spielen, die Regeln anzuerkennen  und statt ihnen Stubenarrest zu geben, den Club schließen. In der daraufhin einkehrenden Stille können alle endlich ins Bett gehen  und die Ruhe genießen.

Hier greift eine weitere Doppeldeutigkeit die Künstler in die Arbeit eingebaut hat, nämlich der harmlose Titel. Bettruhe ist etwas nach dem man sich sehnt, dass man braucht, aber von dem zuviel schädlich sein kann, ja sogar krankmachen kann. Durch dieses ironische Maskenspiel des indirekten Sprechaktes hindurch erklingt eine augenzwinkernde Warnung vor allzu einfachen Wahrheiten, die zur Reflektion über die Notwendigkeit gesellschaftlicher Regeln und das eigene Verhältnis dazu einlädt.


[1] Busch, Wilhelm: Max und Moritz, eine Bubengeschichte in 7 Streichen, 67. Aufl., München: Braun u. Schneider, [1917]
[2] Foucault, Michel: Die Heterotopien/ Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge. Zweisprachige Ausgabe, übersetzt von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Daniel Defert. Frankfurt/M: 2005

Der Text erschien im Katalog zu Ausstellung: hbf – häuser | bilder | fenster 2010

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